Mit der Verabschiedung des gesetzlichen Mindestlohnes reagierte die Bundesregierung und eine breite, parteiübergreifende Mehrheit im Bundestag auf eine der wichtigsten gesellschaftlichen Notwendigkeiten der heutigen Zeit: wer einer Beschäftigung in Vollzeit nachgeht, muss in der Lage sein, sein Leben in einem angemessen Standard gestalten zu können, ohne auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.
Mit Freude nehmen wir daher zur Kenntnis, dass der IHK Präsident zu Coburg als hochrangiger Vertreter der Industrie und Wirtschaft es für „völlig unstrittig“ hält, dass Erwerbstätige von ihrem Arbeitseinkommen den Lebensunterhalt bestreiten können müssen.
Stellungnahme des IHK Präsidenten zu Coburg: Ausnahmen vom flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausreichend?
Verwundert nehme ich als Stadtverbandsvorsitzender der SPD in Coburg aber die Äußerungen des IHK Präsidenten wahr, der die zahlreichen Ausnahmen des Mindestlohnes nicht für ausreichend erachtet. Seit den 90-er Jahren registrieren wir in Deutschland das Wachstum eines Niedriglohnsektors, in dem Tarifvertragsparteien nur schwach oder gar nicht präsent sind – u.a. auch aufgrund der Tarifflucht zahlreicher Unternehmer (prominente Beispiele, wenn auch nicht im Niedriglohnsektor gibt es auch in Coburg) – und dem heute rund jeder fünfte Beschäftigte angehört. Zudem gehört es zur Lebensrealität von circa 1,4 Millionen Menschen am Ende des Monats zusätzliche Sozialleistungen zu beantragen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. In einer so hoch entwickelten Gesellschaft wie der unseren, können wir dies nur als beschämend erachten.
Mindestlohn in Höhe von 8,50 € zu hoch angesetzt? In der Frage der Höhe des Mindestlohnes einigte sich die Koalition auf zunächst 8,50€. Dass diese Zahl nicht vom Himmel gefallen ist, erklärt sich unter anderem auch dadurch, dass diese schon lange zu den Forderungen des DGB zählte. Wer nun argumentiert, die Höhe sei zu hochgegriffen, argumentiert an der Lebensrealität vieler Familien mit Kindern vorbei, denen ein Mindestlohn von 8,50€ allenfalls gerade zum Auskommen genügen wird.
Bereits jetzt zahlreiche Ausnahmen verabschiedet Tatsächlich können aber auch wir als Parteibasis der SPD nicht mit allen Regelungen des gesetzlichen Mindestlohnes ohne Weiteres einverstanden sein. Im vergangenen Bundestagswahlkampf haben für einen Mindestlohn geworben, der allen Beschäftigten einen Arbeitslohn garantieren sollte, der Beschäftigten und deren Familien – ohne abschätzig wertende Ausnahmen – einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.
Angesichts der zahlreichen Ausnahmen entspricht der verabschiedete Mindestlohn tatsächlich aber eher dem vielzitierten Schweizer Käse, als dem wofür wir als Sozialdemokraten vor Ort gekämpft haben. Sei es, dass der Mindestlohn mit Startschuss zum 1. Januar 2015 in Branchen mit längerfristig laufenden Tarifverträgen für zwei weitere Jahre unter die vereinbarten 8,50€ abweichen kann oder sei es die Tatsache, dass Jugendliche unter 18 Jahren dauerhaft sowie Langzeitarbeitslose für die ersten sechs Monate ihrer Beschäftigung ausgenommen sind, die Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn kratzen schon jetzt deutlich an der ursprünglichen Idee des Mindestlohnes.
Welche ablehnende Wertung wird Beschäftigten, die von der Regelung ausgenommen sind dabei übermittelt? Ist ihre Arbeitskraft etwa weniger Wert, als die eines Kollegen, der einer ähnlichen Arbeit nachgeht – nur eben vorher nicht erwerbslos war? Doch, um die Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen auch in Zeiten der Großen Koalition schon in der laufenden Legislaturperiode überhaupt positiv beeinflussen zu können, müssen die Regelungen des gesetzlichen Mindestlohnes als vorläufiger Kompromiss zur Aufrechterhaltung einer stabilen Bundesregierung akzeptiert werden. Dauerhaft können auch wir als Sozialdemokraten die vereinbarten Regelungen und Ausnahmen nicht hinnehmen.
Weitere Ausnahme des Mindestlohnes, z.B. für Jugendliche? Die Forderung Jugendliche, die wegen einer lückenhaften Bildungskarriere keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können bis zum 25. Lebensjahr vom Mindestlohn auszunehmen, können wir als Sozialdemokraten in Coburg nur ablehnen. Dies helfe nicht die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern teilt die Jugend in zweierlei Kategorien: brauchbar und unbrauchbar. Vielmehr müssen die Anstrengungen intensiviert werden, Jugendlichen die durch verschiedenste Faktoren vom eingeschlagenen Pfad abgekommen sind, rechtzeitig vor dem Eintritt in das Erwerbstätigenalter durch umfassende Bildungs- und Fördermaßnahmen zu qualifizieren. Eine besondere Rolle und Verantwortung könne hierbei gerne die Industrie und Wirtschaft einnehmen, um ihrer Vorbildrolle gerecht zu werden.
Als Parteibasis kämpfen wir weiter für einen Mindestlohn ohne Ausnahmen, auch gegen den Widerstand hochrangiger Vertreter aus Industrie und Wirtschaft.
(verfasst von Stefan Sauerteig, Vorsitzender des SPD Stadtverbands Coburg)