Mit der Verabschiedung des gesetzlichen Mindestlohnes reagierte die Bundesregierung und eine breite, parteiübergreifende Mehrheit im Bundestag auf eine der wichtigsten gesellschaftlichen Notwendigkeiten: wer einer Beschäftigung in Vollzeit nachgeht, muss in der Lage sein, sein Leben in einem angemessen Standard gestalten zu können, ohne auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.
Seit den 90-er Jahren registrieren wir in Deutschland das Wachstum eines Niedriglohnsektors, in dem Tarifvertragsparteien nur schwach oder gar nicht präsent sind – u.a. auch aufgrund der Tarifflucht zahlreicher Unternehmer (prominente Beispiele, wenn auch nicht im Niedriglohnsektor gibt es auch in Coburg). Schon heute gehören 23% der Beschäftigten, also mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer, diesem Sektor an. Zudem gehört es zur Lebensrealität von circa 1,4 Millionen Menschen am Ende des Monats zusätzliche Sozialleistungen zu beantragen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. In einer so hoch entwickelten Gesellschaft wie der unseren, können wir dies nur als beschämend erachten.
Entgegen aller Schwarzmalereien aus Kreisen der Union entwickelt sich der Mindestlohn zu einem echten arbeitsmarktpolitischen Erfolg. So berichtet das Statistische Bundesamt in seinem vierteljährlichen Lohnindex von den höchsten Verdienstzuwächsen seit Beginn der Zeitreihenerhebung im Jahr 2008. Diese seien vor allem auf die Einführung des Mindestlohnes zurückzuführen, denn gerade in vom Mindestlohn stark betroffenen Branchen und Regionen könne ein überdurchschnittlicher Anstieg der Löhne verzeichnet werden.
So profitieren laut statistischem Bundesamt vor allem geringfügig Beschäftigte sowie ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem deutlichen Lohnzuwachs von rund 5% im Vergleich zum Vorjahresquartal.
Befürchtungen steigender Preise aufgrund der Lohnuntergrenze haben sich laut Bericht des Statistischen Bundesamtes hingegen nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil trage der Mindestlohn zu einer robusten Konjunktur und einer Steigerung der Kaufkraft bei.
Konkret zeige sich dies bei einer deutlich feststellbaren Steigerung der realen Umsätze der Einzelhändler, die sich seit Einführung des Mindestlohnes so stark erhöhten, wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr.
Besonders interessant und wichtig ist ein Vergleich der Zahl der Erwerbstätigen sowie der Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen nach der Einführung des Mindestlohnes. So ließ sich laut Statistischem Bundesamt beispielweise ein Anstieg der Anzahl der Erwerbstätigen um 10 000 im März 2015 gegenüber dem Vormonat feststellen. Auch die Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen wuchs von Januar auf Februar 2015 – also noch Einführung des Mindestlohnes – um 65 000 an. Eine arbeitsmarkthemmende Wirkung des Mindestlohnes lässt sich also deutlich nicht erkennen.
Mit Unverständnis nehmen wir daher zur Kenntnis, dass Hans Michelbach als prominenter Vertreter der CSU-Wirtschaftspolitiker entgegen der geschilderten Entwicklungen eine „Abschottung des Arbeitsmarktes für Menschen ohne Beschäftigung“ erkennen will, die Abkehr vom Mindestlohn fordert und gleichzeitig das Zeitarbeitsverbot für Flüchtlinge gänzlich aufheben möchte.
Als SPD-Stadtverband Coburg lehnen wir die von Hans Michelbach gewollte Verknüpfung der Mindestlohndebatte mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise ab. Unserer Ansicht nach würde die Umsetzung seiner Vorschläge Arbeitslose und Flüchtlinge gegeneinander ausspielen und somit letztendlich nur zu sozialem Unfrieden führen. Auch lehnen wir eine gänzliche Aufhebung des Zeitarbeitsverbots für Flüchtlinge ab. Dies würde einem weiteren Missbrauch des Instruments der Zeitarbeit Tür und Tor öffnen. Vielmehr gilt es hier Missbrauchstendenzen durch Verschärfung der Zeitarbeitsregelungen, wie seitens der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles jüngst vorgelegt, generell entgegenzuwirken.
Eine Debatte über den seitens der Union ungewollten Mindestlohn auf dem Rücken hilfesuchender Flüchtlinge halten wir für unchristlich und unredlich: Flüchtlinge dürfen in ihrer Not nicht als Billig-Arbeitskräfte missbraucht werden!
Selbst in der Union scheint Hans Michelbach mit seinen Vorschlägen auf mehr Granit zu stoßen, als ihm lieb sein dürfte. So pflichtet ihm zwar Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, bei, wenn er „Sonderlösungen für weniger Qualifizierte“ und eine Aufhebung des Mindestlohnes bei Einstiegs- und Qualifizierungsmaßnahmen fordert.
Gegenwind erhält er jedoch von Carsten Linnemann, CDU-Mittelstandspolitiker, und Peter Weiß, CDU-Sozialpolitiker, die sich gegen einen „Sonderarbeitsmarkt für Flüchtlinge“ aussprechen und die Benachteiligung Arbeitsloser mit deutscher Herkunft prognostizieren, wenn diese in eine wettbewerbsverzerrende Lohnkonkurrenz gezwungen würden.
Ebenfalls schließen wir uns der Meinung des Vorstandschefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise an. Dieser empfahl Unternehmen jüngst weniger darüber nachzudenken, wie sie etwas „am Mindestlohn drehen“ könnten, sondern mehr darüber nachzudenken, wie sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter den gegebenen Rahmenbedingungen dazu befähigen in unseren anspruchsvollen Arbeitsmarkt integriert zu werden und dort auch bestehen zu können.
Wie richtig diese Empfehlung ist, zeigt sich an der enormen Bereitschaft vieler gewissenhafter und verantwortlicher Unternehmer - auch in Coburg -, die sich bereit erklären, Flüchtlinge in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen und damit dem drohenden Fachkräftemangel selbsttätig entgegenzuwirken.
Als SPD-Stadtverband Coburg begrüßen und bedanken wir uns daher ausdrücklich für die gemeinsamen Anstrengungen der Stadt Coburg, der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer für Oberfranken sowie der Kreishandwerkerschaft Coburg, die mit ihrer gemeinsamen Vereinbarung zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen weitaus mehr Weitblick zeigen, als beispielsweise der hiesige Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach in seinen jüngsten Äußerungen.
Stefan Sauerteig
Vorsitzender