Unter dem Motto „Coburg in Europa – Wie viel EU braucht der Mensch?“ lud der SPD Stadtverband Coburg zu einer Podiumsdiskussion mit Kerstin Westphal, MdEP, dem Leiter des Instituts für Sensor-und Aktortechnik an der Hochschule Coburg, Prof. Dr. Gerhard Lindner und dem Leiter der Franken-Akademie Schloss Schney, Klaus Hamann.
Abseits politischer Großthemen, wie der Griechenlandkrise und den Diskussionen rund um einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion wurde der Fokus der Veranstaltung auf die Einflüsse der Europäischen Union auf unsere heimische Region als Wirtschafts- Wissenschafts- und Kulturstandort gerichtet.
Und dennoch bot die Diskussion um einen „Grexit“ den Aufhänger der Veranstaltung. Es sei klar, dass der griechische Ministerpräsident und sein einstiger Finanzminister Giannis Varoufakis in vielen Situationen den Bogen überspannt haben, so Stefan Sauerteig, Vorsitzender des SPD Stadtverbandes Coburg. Gleichwohl betonte Sauerteig in seiner Begrüßung, dass die Solidarität mit den einfachen Griechinnen und Griechen gerade für die Sozialdemokratie ein Gebot der Stunde sei. Es gehe dabei nicht um die Rettung einer linksgerichteten Regierung, sondern um die Verbesserung der Lebensumstände all derer, die nichts für die Fehler vorausgegangener Regierungen oder für die Verlagerung immenser Bankguthaben ins Ausland, können, so Sauerteig.
Trotz der gebotenen Solidarität mehren sich die Stimmen, die einen „Grexit“ befürworten. Diese Forderung gibt Anlass, die Stabilität der Währungsunion zu hinterfragen. Was soll das für eine Währungsunion sein, aus der man scheinbar nach Belieben ein- und austreten kann, wenn der politische und ökonomische Druck zu hoch werden? Eine derart brüchige Währungsunion könne nicht auf Dauer bestehen, so Sauerteig.
Ein Thema, das einen großen, direkt sichtbaren Einfluss vor Ort in Coburg hinterlässt, ist die Bewältigung und Gestaltung der weltweiten Flüchtlingsströme. Gerade durch die zuletzt bekannt gewordenen Anschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte stellen sich viele Bürgerinnen und Bürger die Frage, ob etwas an der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas geändert werden müsse. Kerstin Westphal fand hierbei deutliche Worte zu den Plänen des Europäischen Rats, der vorgeschlagen hatte bei der Verteilung der Flüchtlinge auf Freiwilligkeit, statt einem gerechten Verteilungsschlüssel mit transparenten Kriterien, wie der Bevölkerungszahl oder dem Bruttoinlandsprodukt, zu setzen: „Europa ist keine Festung!“ Auf Freiwilligkeit zu setzen sei kein solidarisches Handeln, weder mit den Flüchtlingen, noch unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, so Kerstin Westphal.
Abseits dieser politischen Großthemen lenkte der Moderator der Veranstaltung, Martin Lücke, anschließend den Fokus auf die Bedeutung Europas vor Ort in unserer heimischen Region. Prof. Dr. Gerhard Lindner, Leiter des Instituts für Sensor- und Aktortechnik stellte dabei die Bedeutung europäischer Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für sein Institut dar. So sehe der Bayerische Haushalt keine finanzielle Mittel für Forschungsinitiativen vor. Das Institut sei daher grundsätzlich auf Aufträge aus der freien Wirtschaft angewiesen und müsse alle Forschungsvorgänge selbst erwirtschaften. Den Startschuss für die Gründung des Instituts, das aus einer studentischen Initiative des Studiengangs „Physikalische Technik“ an der Hochschule Coburg hervorging, seien dennoch Fördermittel gewesen. So habe das ISAT bei seiner Gründung aus europäischen Fördertöpfen rund zwei Millionen Euro erhalten. Um diese Fördermittel zu erhalten, müssten jedoch einige Anstrengungen seitens der Antragssteller unternommen werden. Es handele sich dabei nicht um eine Förderung nach dem „Gießkannenprinzip“, so Prof. Dr. Lindner. Wer europäische Fördermittel generieren möchte, muss einen Eigenanteil stemmen und bürokratische Hürden, wie die genaue Dokumentation aller notwendigen Unterlagen überwinden. Dennoch warb Prof. Dr. Lindner für das Modell der europäischen Regionalförderung, das seinem Institut als Türöffner in die Forschungswelt diente: „Probleme lösen und Innovationen vorantreiben“ sei daher das Motto des Instituts.
Kerstin Westphal betonte in diesem Zusammenhang, dass es keine einfache Aufgabe sei europäische Fördermittel für Initiativen im Freistaat Bayern zu erlangen. So sei die Förderung in ihrem ursprünglichen Zwecke immer auf die Ausgleichung regionaler Unterschiede innerhalb Europas gerichtet. Es sei ein Verdienst der SPE-Fraktion im europäischen Parlament, dass die Förderung auch für wichtige Projekte in eher „reichen“ europäischen Regionen nicht gedeckelt wurde. Gerade in unserer fränkischen Region gelte es, europäische Mittel für kleinere und mittlere Unternehmen bereit zu halten. Konkret erläuterte sie dabei die Notwendigkeit der Fördermittel bei der Revitalisierung von Konversionsflächen, beispielsweise die ehemaligen Flächen der US Armee in Schweinfurt. „Menschen bleiben nur dort, wo es Arbeitsplätze gibt“ sei gerade für weite Teile der unterfränkischen und oberfränkischen Regionen eine wichtige Grundhaltung. Eine Abwanderung junger Menschen und Familien zu verhindern, sei eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union. Problematisch hierbei sei jedoch, dass die Gelder im europäischen Strukturfonds in ganz Europa weniger geworden seien, so Westphal.
Prof Dr. Lindner erläuterte sodann, dass der Bolognaprozess ein wichtiger Baustein für unsere oberfränkische Region war. Die Umstellung auf „Bachelor-„ und „Master-Studiengänge“ habe zu einem enormen Wachstum der Hochschule Coburg geführt. So seien zahlreiche neue Studiengänge hinzugekommen, die Hochschule konnte sich in alle Richtungen erweitern und sich somit ganz wesentlich in der Region verankern. Eine weitere, große Chance des Bolognaprozesses ist die Angleichung der Wertigkeit aller Studienabschlüsse. Mit einem Abschluss der Hochschule Coburg stehen heute alle Karrierewege offen. Dies spiegele sich auf bei der Vergütung aller Bachelor- und Masterabschlüsse wider, da Vergütungsunterschiede zwischen Universitäts- und Hochschulabschlüssen der Vergangenheit angehören.
„Uns gibt es nur, weil Menschen seit jeher Handel treiben“, so lautete das Fazit Kerstin Westphals zur Frage, wie man mit der Verhandlung des Transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP umgehen solle. Die Verhandlung des Freihandelsabkommens sei daher nicht grundsätzlich sofort zu verteufeln. Es sei jedoch klar, dass ein solches Abkommen klare „Rote Linien“ benötigt. Sollten diese überschritten werden, könne ein TTIP nicht unterzeichnet werden. Die kommunale Daseinsvorsorge, zum Beispiel im Bereich der Wasserversorgung, sei ein hohes Gut. „Sie dürfe nicht auf dem Altar des Freihandelsabkommens“ geopfert werden. Ebenso gelte es wichtige Regeln beim Datenschutz zu verankern sowie wichtige Standards im Bereich der Umwelt und des Sozialen nicht abzusenken. Besonders vehement forderte Kerstin Westphal die Verankerung der öffentlichen Gerichtsbarkeit. Öffentlicher Handel brauche öffentliche Gerichte mit unabhängigen Gerichten und der Möglichkeit der Revision. Schiedsgerichte seien daher strikt abzulehnen. Auch Eingriffe in die europäische Kulturfreiheit, wie zum Beispiel die Aufhebung der Buchpreisbindung, seien ein rotes Tuch für die SPE-Fraktion, die eine dementsprechende Resolution im Europäischen Parlament unterstützt.
Es sei wichtig Handel und die Thematik des freien Handels nicht von Grund auf zu verteufeln, erwiderte Klaus Hamann, Leiter der Franken-Akademie Schloss Schney. Für ihn sei die Thematik schon von Beginn an ein reines „Kommunikationsdesaster.“ Handel unterliege der Globalisierung. Diese brauche dringend wichtige Spielregeln. Ein Freihandelsabkommen, je nachdem was darin verhandelt werde, könne dabei beispielhaft wirken, so Klaus Hamann. Gerade deshalb forderte er, mehr Transparenz bei den Verhandlungen zu schaffen. Es müsse klar sein, was verhandelt werde. Auf diese Art und Weise könnte besser auf die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger eingegangen werden.
Auf die Frage, welche Chancen ein Freihandelsabkommen für das ISAT an der Hochschule Coburg hätte, erwiderte Prof. Dr. Gerhard Lindner, dass bereits die weltweite Einführung des metrischen Systems ein epochaler Schritt wäre. Es sei klar, dass Unternehmen wie Apple, Microsoft und Samsung weltweit Standards setzen. Grundsätzlich müssten wir Europäer folgerichtig ein massives Interesse daran haben „faire Regeln“ zu vereinbaren. Er warb dafür, mehr Vertrauen in die Verhandlungsführer der Europäischen Union zu setzen. Diese müssten dabei sorgfältig, detailliert und streitig arbeiten, um die Verhandlungsposition der Europäischen Union zu stärken.
Sowohl Klaus Hamann und Prof. Dr. Lindner betonten in ihren Schlussworten, dass es von enormer Bedeutung für die Stabilität der Europäischen Union sei, die Vielfalt des europäischen Kontinents und gleichzeitig die Einzigartigkeit der europäischen Einigungsbewegung nach den Irren und Wirren der Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts, zu leben. Europa zu bereisen, die Vielfalt kennenzulernen helfe mehr Vertrauen in die Europäische Union zu setzen. Beide fassten ihr Statement in einem Satz zusammen: „Setzen Sie sich ein für Europa!“ (Hamann) – „Bereisen Sie Europa!“ (Prof. Lindner)
Stefan Sauerteig
Vorsitzender SPD Stadtverband Coburg