Gemeinsame Pressemitteilung von SPD und Jusos im Stadtverband Coburg: Die IHK zu Coburg und die Verkennung der Realitäten des Gemeinwesens

03. August 2015

Mit Befremden nehmen die SPD und die Jusos im Stadtverband Coburg zu Kenntnis, dass der Präsident der IHK zu Coburg, Friedrich Herdan, einen Frontalangriff des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, auf bestehende Arbeitszeitregeln, den Mindestlohn, die Rente mit 63 sowie die vorgesehene Neuregelung der Erbschaftssteuer als „begeisternden, wirtschafts- philosophischen Vortrag mit tiefgründiger Sozialkritik“ überschwänglich lobt, geht dies doch an den für den Bürger wahrnehmbaren Realitäten in unserem Land vollkommen vorbei.

Für uns als Coburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten steht fest: Der Mensch kommt vor dem Kapital!

Natürlich liegt es auch in unserem Interesse und im Interesse der Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, wenn es in Deutschland, insbesondere auch bei uns vor Ort in der Region Coburg, starke, innovative kleine und große (Familien-)Unternehmen mit guten Arbeitsplätzen gibt. Darüber sind auch wir sehr froh und dankbar.

Gleichwohl darf seitens des Unternehmertums nicht verkannt werden, dass zur Umsetzung von guten Geschäftsideen und Herstellung von innovativen Produkten, immer auch hart arbeitende Menschen einen erheblichen, wenn nicht den erheblichsten, Anteil leisten.

Mit der Einführung der abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren und der Etablierung des Mindestlohns wurden hier fundamentale Gerechtigkeitslücken geschlossen.

Permanenten Verfügbarkeitsdruck minimieren anstatt Arbeitszeitregelungen aufweichen! Auch ist es dringend notwendig den permanenten Verfügbarkeitsdruck, der auf vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern lastet, zu minimieren und nicht etwa bestehende Grundsätze eines bewährten Arbeitszeitgesetzes aufzuweichen.Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eines der zentralen Aufgabenfelder der Zukunft und die Möglichkeit für Unternehmer sich attraktiv für gut ausgebildete junge Menschen, die zunehmend auf eine ausgeglichenere Work-Life-Balance Wert legen, aufzustellen.

Entgegen der Wahrnehmung von Herrn Wansleben und Herrn Herdan bedarf es hier keinesfalls der Ausweitung der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen.

An dieser Stelle empfehlen wir den Herren Herdan und Wansleben eine Lektüre des Arbeitszeitgesetzes. Dort sind bereits ausreichende Regelungen über die Möglichkeit der Flexibilisierung der Arbeitszeit durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung vorgesehen. Aber Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Verteilung von Arbeitszeit ist scheinbar nicht das, was sich Unternehmer vom Schlage Herdan wünschen. Hier zählt wohl eher: „Wer bezahlt, bestimmt.“

Kritik an der Erbschaftssteuerreform verkennt die Realität! Und auch in Bezug auf die Kritik an der Neuregelung der Erbschaftssteuer verkennt die IHK zu Coburg unter Führung von Herrn Herdan die Realität.

Erinnert werden muss hier insbesondere daran, dass eine Neuregelung aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.Dezember 2014 erfolgen muss, nachdem Teile der bisherigen Regelungen in Bezug auf die Bevorzugung von Betriebsvermögen verfassungswidrig sind, da Unternehmererben hier zum Teil unverhältnismäßig bevorzugt wurden. Über diese Überbevorteilung hören wir natürlich kein einziges Wort seitens der IHK und der Herren Herdan und Wansleben.

Kern des Urteils war insbesondere, dass die Privilegierung betrieblichen Vermögens unverhältnismäßig ist, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreift. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht kommt, urteilten die Verfassungsrichter.

Besonders arrogant mutet es für uns deshalb an, den Finanzbehörden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per se die Kompetenz abzusprechen, vorgesehene, präzise und handhabbare Kriterien bei einer vorzunehmenden Bedürfnisprüfung einhalten zu können. Sicher sind Finanzbeamte und -beamtinnen nicht die besseren Unternehmer, aber die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben gehört zu deren Kernkompetenz.

Auch mutet es überheblich, wenn nicht gar gesellschaftsverachtend an, angesichts der im gleichen Atemzug vorgenommenen Kritik an Mindestlohn und Rente mit 63, zu fordern, den im Gesetzesentwurf vorgesehenen Schwellenwert von 26 Millionen € deutlich zu erhöhen.

Auch hier empfehlen wir Herrn Herdan die Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils, insbesondere der Urteilsergänzung der Richter Gaier, Masing und der Richterin Baer:

Sozialstaatsprinzip als Fundament unseres Gemeinwesens erfordert angemessenere Verteilung des Kapitals! Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.“ (Sondervotum zum Urteil vom 17.12.2014)

Gesetzentwurf als tolerabler Kompromiss in der Großen Koalition! Gerade vor diesem Hintergrund erweist sich der Gesetzentwurf über die Neuregelung der Erbschaftssteuer - bei Gesamtbetrachtung - allenfalls als tolerabler Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD in Zeiten der Großen Koalition.

Vollkommen inakzeptabel erweist sich unserer Meinung nach aber insbesondere die auf Drängen der Union und der Unternehmerverbände vorgesehene Regelung, dass die Steuerpflicht zumindest in Teilen davon abhängig sein soll, ob der/die Erbende gerade „flüssige Mittel“ verfügbar hat.

Man stelle sich vor, ein solcher Grundsatz würde auch im Einkommenssteuerrecht Fuß fassen. Jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin, die von einer Steuernachzahlung betroffen wäre und nicht über sowieso schon zu verschonendes Millionenvermögen verfügt, würde dies sicher begrüßen. Ob die Union einem solchen Grundsatz auch für den kleinen Mann befürwortet? Wohl eher nicht!

Als praktikablen, verfassungskonformen Weg sehen wir in einem solchen Fall großzügige Stundungsregelungen an.

Auch sehen wir durchaus die Notwendigkeit Ausnahmen für Familienunternehmererben dann zu gewähren, wenn diese nach dem Gesellschaftsvertrag „gezwungen“ sind Gewinne zu reinvestieren oder Gesellschaftsanteile nur an weitere Familiengesellschafter zu veräußern.

Dominik Sauerteig Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth) Vorsitzender Jusos im Stadtverband Coburg

Stefan Sauerteig Vorsitzender SPD im Stadtverband Coburg

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